Von der Pike auf zu beginnen, ist schwer. Andererseits ist es mitunter schwieriger, das erfolgreich weiterzuführen, was schon gut floriert und funktioniert. Beispielsweise aus Vaters Schatten zu treten und ein Familienunternehmen hochzubringen. All dies prophezeiten die Schicksalsgöttinnen an der Wiege des kleinen Josef Pfeiffer, als dieser an einem trüben Novembertag des Jahres 1808 am Ufer der Lausitzer Neiße (Lužická Nisa), in der Mühlenstube in Gablonz-Brandl das Licht der Welt erblickte. Sein Vater war gerade mal 26 Jahre alt und als Erstgeborener erbte er automatisch Vaters Namen. Josef, nun schon Josef sen., war wie die meisten Müller seiner Zeit ein welterfahrener, weitgereister, furchtloser, vor allem aber tatkräftiger junger Mann. Nun aber saß er nachdenklich auf der Steinveranda, durchs Fenster ertönte das kräftige Geschrei seines Söhnchens und im Kopf reifte eine Entscheidung. Klar, die Mühle floriert, aber ob sie ausreicht, die wachsende Familie zu ernähren? Denn sicher kommen noch weitere Kinder dazu und die Zeiten sind unsicher. Er hatte schon geraume Zeit darüber nachgedacht, hier und da nachgefragt, hin- und herüberlegt und nun war die Entscheidung gefallen – er steigt ins Geschäft mit der Gablonzer Bijouterie ein, eine vielversprechende und zukunftsträchtige Branche… Brandl war von Gablonz (Jablonec) nur einen Steinwurf entfernt (heute ist es ein Ortsteil von diesem), Josef befand sich also mitten im Epizentrum der damaligen Konjunktur. So knüpfte er erste Kontakte mit den Glashütten in Antoniwald/Antonínov und Christiansthal/Kristiánov an und beginnt deren Ware zu vertreiben. Und zwar in großem Stil – aus heutiger Sicht könnte man ihn mit Fug und Recht als Mitbegründer des Fernhandels mit Gablonzer Ware bezeichnen.
Der kleine Josef gedieh prächtig und so bestanden keine Zweifel daran, dass er einst Vaters Platz in der Firma einnimmt. Als dieser dann in Prag seine Allgemeinbildung abschloss, denn Gablonz, die heutige Minderstadt Jablonec, war damals ein allzu kleines Nest, um eine so genannte ‚Musterhauptschule‘ zu rechtfertigen, spannte ihn der Vater sofort ein und begann ihm das kaufmännische ABC beizubringen. Kaum hatte er sein siebzehntes Lebensjahr vollendete, schickte ihn der Vater nach Frankfurt am Main, wo er im Bank- und Kaufhaus eines seiner Kunden als Praktikant zu arbeiten begann. Zu jener Zeit war Josef Pfeiffer sen. bereits Marktrichter von Gablonz, ohne jedoch zu ahnen, dass sein Sohn einst in seine Fußtapfen tritt, ja dass er ihn noch weit übertrifft. Eines war sicher – Josef jun. wird ein guter Kaufmann und eine tatkräftige Hilfe für das Familienunternehmen. Als dieser nach vier Jahren seines Frankfurter Praktikum nach Hause zurückkehrte, kam er aus dem Staunen gar nicht wieder raus. Vater hatte sein Unternehmen inzwischen um ein drittes Standbein erweitert – in Brandl begann er gleich neben der Mühle mit dem Bau einer brandneuen Baumwollspinnerei – einer der ersten Textilfabriken des Isergebirges. Nur fünf Jahre später kam in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft noch eine weitere Spinnerei hinzu.
Das Familienunternehmen florierte und Josef war mit kaum 27 Jahren Gesellschafter und Teilhaber der Firma. Verkaufslager gab es nicht nur in Gablonz, sondern auch im Josef so vertrauten Frankfurt. Man handelte mit Bijouterie-Steinen, Glasperlen und Rocailles, Knöpfen, Devotionalien, Lüsterbehängen und Metall-Bijouterie und dies in ganz Europa – im Österreichischen Kaiserreich, in Deutschland, Italien, in Holland, Belgien, Frankreich, England und in der Schweiz, ja sogar im fernen Rio de Janeiro. Als Vater Pfeiffer starb, war Josef einunddreißig Jahre alt und gleichzeitig ältester Gesellschafter. Er war viel unterwegs, ja er besuchte de facto fast alle Orte, in denen die Firma Handel trieb. Seine Voraussicht und Fähigkeit, gute Geschäftsbedingungen auszuhandeln, aber auch seine Kontakte und seine Geschäftsstrategie trugen schon bald Früchte – die Firma Josef Pfeiffer & Co. stieg zum namhaftesten Exporthaus und größten Exporteur von Metall-Bijouterie auf. Auch dank dessen, weil Josef nahezu pedantisch auf die Qualität und ständige Ausweitung seines Portfolios bedacht war.
Josef und seine Brüder knüpften an die Geschäftspraktiken ihres Vaters an und weiteten sie noch aus – nicht allein das Geschäftsfeld der Firma, sondern auch deren Tätigkeiten. So kam schon bald eine Kompositionsbrennerei hinzu, schon damals kauften die Pfeiffers Glasartikel nicht nur ein, sondern begannen Sie auch herzustellen. Und zwar glänzend! Sie steckten enorme Mittel in die Forschung und bemühten sich ständig, neue Technologien zumindest zu übernehmen. Recht bald stellten sich Erfolge auf Ausstellungen ein. Auf der Wiener Gewerbe-Ausstellung anno 1845 präsentierte die Firma Imitationen von Halbedelsteinen, die laut zeitgenössischen Berichten, „mit ihrer Üppigkeit, Farbschönheit, Reinheit ihres Schliffes, vor allem aber mit ihrem niedrigen Preis sicher Aufmerksamkeit erregen“.
Auch die Textilherstellung nahm Fahrt auf, deren Betriebsstätten modernisiert und rationalisiert wurden. Dazu investierte Josef Pfeiffer auch in den Immobilienmarkt, namentlich in den Einkauf von Grundstücken – der Höhenflug des Unternehmens setzte sich fort.
Die Moiren konnten zufrieden sein. Waren sie aber noch nicht. Eine Schicksalsspindel stand noch still. Eine mächtige und wichtige Spindel. Denn Josef erwartete, wie viele erfolgreiche Unternehmer jener Zeit, der Schritt in die Politik. Ein bisweilen dorniger Weg, der aber letztendlich zum Ehrentitel „Stadtvater von Gablonz“ führte. Seltsam, das menschliche Gedächtnis. Dass jemand eine namhafte Firma aufgebaut hat, dass er hunderten, ja tausenden Menschen Arbeit gab, dass er unermüdlich rackerte, handelte, Krisen bewältigte, neue Wege einschlug – das ist schnell vergessen. Andererseits reicht eine auch nur flüchtige Teilnahme in der Politik aus, um einen unsterblich zu machen. Nicht jeden verdientermaßen – Josef Pfeiffer zweifelsohne ja.
Bevor wir jedoch seinen politischen Werdegang verfolgen, werfen wir noch einen Blick darauf, wie die Schicksalsgöttinnen sein persönliches Leben und Familienglück beeinflussten. Nun, anfangs sah es damit gar nicht rosig aus. Josef heiratete noch zu Vaters Lebzeiten. Und schon bald wurde ein Söhnchen geboren, aber dieses wurde keine fünf Monate alt. Zu alledem segnete auch Josefs Frau wenig später das Zeitliche. Zum Trauern war nicht viel Zeit, denn gerade jetzt stand die Betriebsaufnahme der zweiten Spinnerei in Brandl an. Dabei darf nicht vergessen werden, dass man die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts schrieb und eine vielköpfige Familie, vor allem aber männliche Nachkommen, die einzige Gewähr für den Fortbestand eines Unternehmens waren. Und so heiratet Josef nach zwei Jahren Witwerschaft erneut. Auch Kinder kamen erfreulicherweise zur Welt, eins nach dem anderen – aber eben nur Töchter. Schon fünf Mädels und noch kein Erbe in Sicht. Dann platzt der Knoten – 1846 kam Bruno zur Welt und nach ihm noch drei männliche Nachkommen. 1860 feierte man in Familie Pfeiffer die Ankunft ihres dreizehnten und letzten Nachkömmlings. Es blieben sieben Töchter und vier Söhne. Die Zukunft scheint gesichert. Nur – wie soll diese aussehen? Für solch einen agilen und begabten Mann wie Josef Pfeiffer wäre undenkbar, die Hände in den Schoss zu legen und zu warten, was kommt.
Bereits 1845 setzt er sich vehement für den Verlauf der neu erbauten Reichsstraße – dieser so wichtigen Verkehrsader – über Gablonz ein und dank seines Engagements gelingt dies auch. Genauso wie sein Vater wird auch er Leiter des Gablonzer Scharfschützenkorps. Dann fegen die Stürme des Revolutionsjahres 1848 durch Europa und erwecken Demokratisierungsprozesse. Josef Pfeiffer ist einer der ersten, der die Kunde von der Wiener Märzrevolution nach Gablonz bringt und wird schon bald in die flugs geschaffenen Nationalgarde berufen. Es ist nur natürlich, dass Josef augenblicklich für das Amt an der Spitze der Gemeinde kandidiert. So gibt es gewisse Zeit in Gablonz eine Doppelherrschaft , als der alte Schultheiß und der neue Gemeindevorsteher dual regieren. Zwei Jahre später ist der Machtkampf entschieden – Josef Pfeiffer wird definitiv zum Gablonzer Bürgermeister ernannt. Augenblicklich verzichtet er auf sein Bürgermeistergehalt und widmet dieses zu wohltätigen Zwecken – seine gesamte 17-jährige Amtsdauer lang. Die wenigsten Gablonzer ahnten damals, welch glückliche Entscheidung dies war. Der Minderstadt stand nun ein hervorragender, vorausschauender Wirtschafter vor, der den Wohlstand der Gemeinde schnell zu erhöhen und zu vermehren verstand. Bürgermeister Pfeiffer nutzt die Konjunktur und das weltweite Interesse an der Gablonzer Ware voll aus und so stieg Gablonz, das heutige Jablonec zum „österreichischen Kalifornien“ mit ständig steigenden Einwohnerzahlen und Arbeitsstellen auf. Sein Hauptaugenmerk gilt dabei dem Verkehr. Als Unternehmer weiß er nur allzu gut, dass die Verkehrsbedienung das Alpha und Omega des Erfolgs und der Prosperität sind und so baut er fieberhaft neue Straßen. Auch ein Spital und eine Sparkasse werden erbaut, an deren Spitze sich wiederum Josef Pfeiffer stellt, der zudem sofort dafür sorgt, dass die hiesigen Unternehmer leicht an Kredite herankommen. Josef Pfeiffer setzt den Bau des zweiten Gablonzer Markplatzes samt repräsentativem Rathausgebäude (heute Domizil der Stadtbücherei)durch und realisiert diesen. Die Stadt erhält eine städtebauliche Ordnung.
Der Aufstieg des Gablonzer Bürgermeisters Pfeiffer setzt sich unaufhaltsam fort – er wird zum Abgeordneten des Böhmischen Landtags in Prag gewählt und zum Reichstag in Wien weiterdelegiert. In den letzten Märztagen des Jahres 1866 wird das Wirken des aufgeklärten Bürgermeisters Pfeiffer mit einem weiteren Höhepunkt gekrönt – Gablonz wird feierlich zur Stadt erhoben. Als wenige Monate später die Preußen in Nordböhmen einfallen und durch Gablonz marschieren, erweist Pfeiffer ungewöhnlichen Mut und Entschlossenheit und widersetzt sich dem allgemeinen Trend, die weiße Flagge zu hissen – nein, das junge Städtchen ergibt sich nicht. Kaiser Franz Joseph zeichnet ihn hierfür mit dem Ritterkreuz aus. Und Bürgermeister Pfeiffer wahrt auch weiterhin die Interessen der Stadt – in der Bezirksvertretung, in der Reichenberger Handels- und Gewerbekammer.
Aber kein Baum wächst bis in den Himmel. Am letzten Januartag des Jahres 1869 fühlt sich Josef Pfeiffer unpässlich. Und so geht er ausnahmsweise mal nicht ins Amt und versucht sich auszukurieren. Vier Tage später stirbt er. Gablonz trauert. Wohl wissend, dass es unmöglich ist, einen Menschen vom Format eines Pfeiffers zu ersetzen. Am nächsten Tag erscheint ein Nekrolog, in dem die Einwohner mit trauriger Miene, aber zustimmend lesen: „In Gablonz gibt es keine für die Gemeinde unentbehrliche Institution, deren Entstehung Josef Pfeiffer nicht angeregt und deren Anfänge er nicht hingebungsvoll unterstützt hätte“. Uns Zeitgenossen überfällt beim Lesen dieser Zeilen auch eine gewisse Trauer. Das, was unsere Vorfahren als völlig logisch ansahen, dass nämlich die Erfolgreichen, die durch eigenes Geschick und Können zur Elite aufstiegen, mit absoluter Selbstverständlichkeit und mit erheblichen finanziellen Mitteln das öffentliche Leben förderten und nicht zögerten, es zur allgemeinen Prosperität zu leiten und zu führen – das ist heute eher eine große Seltenheit. Gablonz – Jablonec hatte das Glück, dass ihm 17 Jahre lang ein Mann vorstand, der wusste, was er tat. Die Stadt blühte auch weiterhin und erlebte sowohl Epochen des steigenden, als auch fallenden Interesses an seinen glitzernden Artikeln – seiner Bijouterie. Was damals Josef Pfeiffer sen. begann und seine Söhne zur Perfektion brachten, war und blieb höchstes Gebot der Gablonzer – deren höchstmöglicher Absatz auf den Weltmärkten. Und neue Absatzmärkte zu erschließen.
Und tatsächlich – kurz nach Josefs Tod tauchte ein solcher neuer Markt auf. Ein wahrhaft gigantischer Markt. Britisch-Indien. Es begann mit geblasenen, metallischen Glasperlen, vor allem aber sog. Bangles – die für hinduistische Frauen von grundsätzlicher ritueller, allerdings auch modischer Bedeutung sind. Der Export kam ins Rollen, der Erfolg war gigantisch. Der Überseehandel rief regelrecht nach neuen Verkehrsformen. Und so kam es 1912 zum Umbruch im Export nach Indien – in der Werft San Rocco di Trieste in Terst wurde feierlich ein moderner Schnelldampfer zu Wasser gelassen – seinerzeit das größte Schiff der österreich-ungarischen Handelsflotte. Das 137 Meter lange Schiff mit einer Wasserverdrängung von über 8.000 Tonnen konnte eine Geschwindigkeit von 30 km/h entwickeln. Seiner Taufe war auch der damalige Bürgermeister von Gablonz an der Neiße, Adolf Posselt zugegen. Warum? Nun, vor allem deswegen, weil das Schiff auf den stolzen Namen „Gablonz“ getauft wurde! Diese Namensgebung war logisch, der Dampfer war zwar imstande, 180 Passagiere in den Kajüten der ersten, zweiten und dritten Klasse aufzunehmen, seine Hauptaufgabe war es jedoch, Gablonzer Bijouterie über das Mittelmeer, Rote Meer und Arabische Meer nach Kalkutta, Bombay und weitere indische Seehäfen zu bringen. Nur schade, dass dies Josef Pfeiffer nicht mehr miterleben konnte. Er hätte es sich verdient! Ohne Ihn hätte die Gablonzer Bijouterie nie und nimmer die Erfolge erzielt, derer sie sich bis zum heutigen Tag rühmen kann.